Die An- und Abwesenheit der Polizei

Ich bin wirklich gespannt, wie die Polizei ihre völlige Abwesenheit bei einem viele Hundert Meter langen Demo-Umzug durch Berlin am gestrigen Sonntag „erklären“ wird.

Über vier Stunden war nichts zu sehen von der Staatsmacht – die ich sonst gerade hier in Berlin als besonders eingriffsfreudig erlebt habe.

Ich war zum Olympischen Platz gefahren, um an einem nicht verbotenen Autokorso teilzunehmen. Andere Demos waren verboten worden – aus meiner Sicht eine nicht logisch zu rechtfertigende Entscheidung. Der CSD nur eine Woche vorher war mit ca. 80.000 bunten, fröhlichen, zumeist maskenlosen Menschen ohne Abstände ein Riesenfest in Berlin. Und jetzt wurden wegen angeblichen Gesundheitsgefahren Demos verboten. Eine politische Entscheidung, die nur eins zeigt: Die Regierung hat Angst, dass der Protest gegen ihren Umgang mit dieser seltsamen Erkrankung Covid-19 als das gesehen wird, was er ist: friedlich und sehr groß.

Der Autokorso durfte aber nicht starten. Die ca. 250 Autos und vielleicht 400 Menschen blieben am Olympischen Platz. Eine Art Festivalatmosphäre entstand, es wurde musiziert, getanzt, geplaudert und gelacht. Polizei war da, hat wohl auch Menschen verscheucht oder blockiert – als unerwünschte „Zaungäste“ einer nicht verbotenen Demo. Auch schon ein merkwürdiges Verständnis von Versammlungsrecht.

Nach ein paar Stunden setzten wir uns zu dritt ins Auto und fuhren los, auf der Suche nach anderen Aktionen in der Stadt. Es gab seit der Absage der Querdenken-Orga am Samstag-Abend kein Konzept, keinen Plan B und ich befürchtete schon, dass der 1. August auch so ein Herumgerenne wie Pfingsten werden könnte.

Wir trafen dann Heiko Schöning, der uns sein neues Buchprojekt vorstellte http://www.wirkraft.de und gerieten noch in eine erstaunlich kurze Polizeimassnahme. Ein Mitfahrer hatte eine Basis-Fahne aus dem Fenster gehalten und einer Polizeieinheit gefiel das nicht. Erst hieß es, ich würde Symbole zeigen, die mit einer verbotenen Versammlung in Beziehung stünden.

Ich entgegnete, dass ich als Spitzenkandidat für dieBasis für das Berliner Abgeordnetenhaus Wahlkampf mache und bat eine anwesende Journalistin, die Aktion zu dokumentieren, während ich mich darüber beschwert habe, dass hier der Wahlkampf einer Partei behindert wird.

Wir waren dann schnell wieder entlassen, fuhren weiter.

Nach kurzer Zeit stießen wir auf der Bismarckstraße auf einen ansehnlichen Zug von Menschen, stellten das Auto ab und marschierten mit. Wir marschierten vier Stunden durch Berlin, von Polizei war so gut wie nichts zu sehen. Irgendwann tauchte ein Polizeiwagen hinter dem Zug auf, der den nachfolgenden Verkehr warnte. Vor einer Polizeiwache konnte ich beobachten, wie Revierbeamte eine Frau in ihren Bau schleppten, Beute machten wie Möwen, wenn die jungen Meeresschildkröten ins Wasser streben. Aber es waren so viele Menschen und nur fünf Polizisten in Hemd und nicht im Kampfmontur – das hielt uns nicht auf.

Erst am Gleisdreieck konnte man erkennen, dass Brücken in Richtung Norden gesperrt waren. Das hielt uns aber auch nicht auf, es entstand am Gleisdreieck eine schöne Party mit Tanz. Bis hierhin hatte ich wieder das wunderbare Gefühl von Gemeinschaft und Verbundenheit genossen und regelrecht aufgetankt.

Danach war ich etwas müde und wir machten eine Pause im Park. Mindestens eine Stunde lang zog ein konstanter kleiner Strom von Menschen an uns vorbei.

Die Kioskmitarbeiterin von Pauls und Paulas Kiosk weigerte sich hartnäckig, Menschen, die von der Demo kamen, irgend etwas zu verkaufen.

Sie hätte wirklich ein gutes Geschäft machen können.

Irgendwann an einem auch noch so großartigen Tag kommt der Moment, wo es kippt. Viele Demonstrierende sind gegangen, es waren nur noch kleinere Gruppen unterwegs und die Polizei – die sich vorher offensichtlich zurück gezogen hatte – bekam wieder Oberwasser und schikanierte Menschen. Ein Park wurde geräumt, ruppige Ansagen, Schubsereien von Polizisten – auf einer Straßenseite. Auf der anderen Straßenseite: Entspanntes flanieren. Absurditäten des aktuellen bundesdeutschen Alltags.

Ob wohl irgendjemand in der Polizeiführung entschieden hat, der Tag dürfe nicht mit einer kompletten Niederlage der Berliner Polizei enden und die Statistik müsse noch ein bißchen für den Polizeibericht aufgehübscht werden?

Wie soll der denn nun aussehen? Ich bin gespannt. Wird dort stehen: Wir haben 2.500 Beamtinnen vor Ort gehabt, die aber von 5.000 Demonstrierenden überfordert waren? Das wäre dann doch eine Bankrotterklärung der Staatsmacht. Dann müsste man einen solchen Bericht ganz schnell wieder verschwinden lassen – wie den Polizeibericht über das Pfingstwochenende, den man in der Auflistung der Polizeibericht aus Berlin vergeblich zwischen der Nummer 1130 und 1132 sucht. Nur, wer die Internet-Adresse https://www.berlin.de/polizei/polizeimeldungen/2021/pressemitteilung.1087927.php kennt, kann sie aufrufen und liest mit Erstaunen, dass beispielsweise am Pfingstmontag 3.000 Beamte im Einsatz waren, die es dann mit stadtweit etwa 600 Demonstrierenden zu tun hatten. Ein mir bisher völlig unbekanntes Verhältnis von eingesetzter Polizei zu Demonstrierenden. Eine völlige Blamage der Polizei.

Oder wird der Polizeibericht behaupten, es habe konkrete Hinweise gegeben, dass das (völlig leere) Regierungsviertel gestürmt werden sollte und dieses und nur  dieses hätte dann mit allen zur Verfügung stehenden Kräften geschützt werden können?

Wir werden tatsächlich das Regierungsviertel stürmen. Wir werden das am 26. September tun – mit unseren Wahlzetteln. Vorher ist dieses Kasperletheater von unserer Seite nicht in Gefahr.

Was also wird der Polizeibericht sagen? Ich bin gespannt.

Nachtrag: Später habe ich erfahren, dass ein Gründungsmitglied derBasis auf der Demo im Zusammenhang mit einer Polizeimassnahme verstorben ist.
Im Bewusstsein dieses Geschehens ist mein Text oben zu leicht für den Tag. Ich lasse ihn dennoch stehen. Bevor nicht alle Details bekannt sind, möchte ich nicht weiter spekulieren. Mir fehlen sowieso die Worte dafür.

PP.S.: Der Polizeibericht hat mich dann doch überrascht. Der Demozug, an dem ich teilgenommen habe, tauchte überhaupt nicht auf. Man könnte jetzt argumentieren, dass die Polizei ja auch nicht dabei war und gar nichts dazu sagen kann, aber der Polizeihubschrauber kreiste die ganze Zeit über den Köpfen.
Hier zum Nachlesen:
https://www.berlin.de/polizei/polizeimeldungen/2021/pressemitteilung.1112145.php